PRESS: Die müssen da raus, in « art – Das Kunstmagazin »

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SOURCE: art – Das Kunstmagazin, Tim Holthöfer, August 2019

PRESS TEXT:

INTERVIEW Die Kuratoren von »Artists at Risk« über ihre Arbeit mit Künstlern in Not

Die Organisation »Artists at Risk« verschafft bedrohten Künstlern Stipendien und Residenzen in  sicheren Ländern, organisiert Ausstellungen und Kampagnen. ART sprach mit den Gründern Ivor Stodolsky und Marita Muukkonen über das Programm.

ART: Wann und wie ist  »Artists at Risk« entstanden? 

Marita Muukkonen: Wir haben als Kuratoren schon immer mit politisch engagierten Künstlern zusammengearbeitet. Unsere erste gemeinsame Ausstellung war über russische Kunst der  Perestroika. Wir arbeiteten mit vielen ehemaligen Dissidenten zusammen. Ende 2007 gab es eine riesige Ausstellung im KiAsmA in Helsinki. Danach recherchierten wir weiter über eine neue Generation von Künstler-Dissidenten, zum Beispiel in der Türkei und Ägypten, und initiierten das Projekt  »Re-Aligned Art«. Es ging um Künstler, die dort für ihre Werte auf die Straße gingen. Tatsächlich wurden viele von ihnen später bedroht. Wir kuratierten Ausstellungen mit ihnen, und dann realisierten wir, okay, die müssen da raus, sie sind wirklich in Gefahr.

War dann besonders die Krise in Ägypten der Auslöser?

Ivor Stodolsky: Ja. Das »Re-Aligned Art«-Projekt begann mit Russland, Weißrussland, der Ukraine und Aserbaidschan. Aber als Residenzprogramm wurde es tatsächlich dringend mit den Gescheh- nissen in Ägypten, dem Sturz von Mubarak, der Regierung von Mursi und dem Putsch von el-Sisi. Wir hatten Künstler, die wurden unter allen drei Regimen gefoltert.

Was sind die Aufnahmekriterien für das Programm?

Muukkonen: Eines ist die  Qualität der künstlerischen Arbeit. Als Zweites schauen wir, wie akut die Bedrohung ist. Das dritte Kriterium ist, dass die Künstler wirklich zur gastgebenden Institution passen. Und natürlich brauchen wir auch die richtige Umgebung, wenn Künstler mit ihrer Familie kommen müssen.

Stodolsky: Ob eine Bewerbung für ein bestimmtes Programm passt, kann von der Sprache abhängen, aber auch von Aufenthaltserlaubnissen.

Wie vielen Künstlern können Sie denn pro Jahr helfen? 

Stodolsky: In diesem Jahr werden es wahrscheinlich 15 bis 20 Personen sein.

Muukkonen: Wir können  nur den wirklich dringenden  Fällen helfen. Aber unser großer Vorteil ist, dass wir sehr schnell sind.

Stodolsky: Es gibt Künstler, die haben sich bei anderen Organisationen beworben. Denen wurde gesagt: Wir können dich fördern, aber die Residenz musst du selber finden oder die Hälfte des nötigen Geldes aufbringen. Aber wie soll das jemand in Syrien leisten, der  gerade von drei Seiten bombardiert wird? Diese Leute wenden sich dann an uns, und wir versuchen, sie erst mal schnellstmöglich rauszubekommen.

Steigt für manche Künstler  die Bedrohung, wenn sie bei »Artists at Risk« mitmachen? 

Muukkonen: Auf unserer Webseite sieht man gar nicht alle Künstler, mit denen wir arbeiten. Es ist wichtig, dass die Künstler entscheiden, wie und ob sie sichtbar sind.

Stodolsky: Es gibt Künstler, für die ist es gut, mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, das kann einen gewissen Schutz erzeugen. Für andere kann es genau das Gegenteil bedeuten.

Aber was passiert, wenn die Künstler in ihre Länder zurückkehren müssen? 

Stodolsky: Bei Leuten, die noch nicht zurückkönnen, versuchen wir zusammen, weitere Förderungen zu bekommen und sie in der Kunstszene zu etablieren. Entweder sie gehen zurück in ihre Heimat, um ihren Kampf weiterzuführen, …

Muukkonen: … was sie tatsächlich sehr häufig machen wollen, da es meistens politisch engagierte Menschen sind, …

Stodolsky: … oder sie finden ihren Platz als professionelle Künstler in Europa.

Muukkonen: Der Fotograf Issa Touma ist zum Beispiel wieder zurück in Aleppo und betreibt jetzt neben seiner professionellen internationalen Karriere eine Fotografie-Werkstatt für  Jugendliche vor Ort.

Stodolsky: Das Zurückkehren in die Heimat ist für uns wirklich entscheidend. Nicht weil wir sie nicht hier haben möchten. Im Gegenteil, wir glauben, dass sie unsere Gesellschaft und Kultur bereichern. Aber sie haben einfach so viel Einfluss auf ihre Gesellschaft. Touma baut wirklich die Kultur in Aleppo wieder auf.

Bekommen Sie Unterstützung von staatlicher Seite?  

Stodolsky: In Deutschland  bekommen wir zum Beispiel Förderung für individuelle  AR-Kandidaten von einem neuen Programm des instituts für Auslandsbeziehungen.

Muukkonen: Unterstützung staatlicherseits ist in Visa-Fragen wichtig, da es in manchen Ländern immer schwieriger wird, Schengen-Visa zu bekommen. Deswegen arbeiten wir auch gerade daran, »Artists at Risk« außerhalb des Schengen-Raums auszubauen.

Und wie finanzieren Sie sich? 

Stodolsky: Wir haben eine gute Unterstützung in Finnland, von städtischen, staatlichen und privaten Organisationen und werden auch von der EU und anderen nordischen Institutionen gefördert.

Was sind denn, neben den  Residenzen, weitere Aktivitäten von »Artists at Risk«? 

Muukkonen: Hauptsächlich starten wir Kampagnen, zuletzt zum Beispiel für zwei Mitglieder von Pussy Riot, denen in Schweden Abschiebung drohte.

Stodolsky: Wir verfassten einen offenen Brief, dem sich andere Organisationen anschlossen, um die Behörden zu überzeugen, das zu revidieren. Das hat auch geklappt.

Gibt es auch juristischen Beistand für Künstler? 

Muukkonen: Ja. Da geht es aber vor allem um laufende Verfahren unserer Residency-Teilnehmer in ihren Heimatländern.

Wie erreichen Sie überhaupt die Künstler?

Stodolsky: Wir bewegen uns in unterschiedlichsten Netzwerken: Kunstszenen, LGBTQ- und Menschenrechtsorganisationen oder Netzwerken von politischen und Umwelt-Aktivisten. Es gibt auch einen »Public Call«, der immer offen ist. Am besten funktioniert aber oft Mund-zu-Mund-Propaganda.

Werden Sie für Ihr Engagement auch  angegriffen?

Stodolsky: Wir von »Artists at Risk« wurden noch nie direkt bedroht. Vielleicht hat man uns einfach nicht als Ziel oder Meinungsmacher identifiziert. Aber Künstler werden bedroht, auch mitten in Europa. Neulich sollte ein britischer Künstler, der wiederholt zum Ziel rassistischer Angriffe wurde,  in einer Galerie in Berlin auftreten. Diese wurde dann selbst Opfer von Angriffen im Netz und hat den Auftritt abgesagt.

Muukkonen: Das ist wie eine Selbstzensur, und das sollten wir nicht gutheißen. Wenn unsere Künstler mit Sichtbarkeit und Auftritten einverstanden sind, dann organisieren wir das. Das ist uns so wichtig, weil sie schon in ihren Heimatländern oft zum Schweigen gebracht wurden.

Ist Ihre Arbeit ein Tropfen auf den heißen Stein? 

Stodolsky: Unsere Aufgabe ist es, zu integrieren und die Menschen zu unterstützen, unabhängige, starke Künstler zu bleiben – hier oder in ihrer Heimatregion. Wir können nicht jeden nehmen, der gern kommen würde. Das ist manchmal frustrierend. Aber es gibt auch viele positive Momente: Saddam  Jumaily und seine Frau Kholod Hawash aus dem Irak saßen für viele Jahr in einem Flüchtlingslager in Jordanien. Und jetzt ist es eine große Freude, diese Künstler wieder ausstellen und aufblühen zu sehen. //